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主题:【全文转帖,抱歉】“为什么没人救他出来?” -- 老班长

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China nach dem Erdbeben

"Warum holt ihn niemand da raus?"

Hunderte Schüler sind in der zerstörten Stadt Hanwang noch immer nicht geborgen. Warum die Verzweiflung der Überlebenden so groß ist und wie sie ihrer Wut Luft machen.

Von Henrik Bork, Hanwang

Die Menschen in China verzweifeln angesichts der Katastrophe.

Foto: dpa

Ihre Stimme ist längst heiser. Sie ruft es auch nicht laut. Sie ruft es so, als müsste es niemand mehr hören, zumindest niemand im Besonderen. Wenn Qin Xiao Hong diesen einen Satz ruft, immer wieder, dann klingt es eher wie eine Selbstbeschwörung: "Warum holt ihn niemand da raus", ruft die 40-jährige Chinesin.

Es ist 18.10 Uhr am Dienstag. Also genau 27 Stunden und 42 Minuten, seitdem die Dongqi-Mittelschule in Hanwang, Provinz Sichuan, eingestürzt ist. Hunderte Schüler sind noch immer nicht geborgen. Einer ist zur Hälfte sichtbar. Sein linker, nackter Arm ragt aus dem Schutt, bewegt sich ab und zu, der Kopf ist sichtbar. Jemand hat ihm einen gelben Helm aufgesetzt. Der Rest des Jungenkörpers ist unter einem schweren Betonbrocken begraben. Von anderen Kindern hört man noch schwache Rufe aus dem Geröllfeld, das einmal die Aula war.

Der Weg zur Dongqi-Mittelschule führt durch ein Katastrophengebiet. Über Dutzende Kilometer entlang der Landstraße von Chengdu suchen Menschen unter Plastikplanen Schutz vor dem kalten Regen, der auf die Trümmer ihrer Häuser fällt. Krankenwagen mit Blaulicht sind unterwegs. Die Kolonne von Ministerpräsident Wen Jiabao rast vorbei. Er hat in der Nähe vor laufenden Fernsehkameras die Rettungsarbeiten koordiniert, Überlebenden die Hände geschüttelt. Das Krankenhaus von Hanwang aber, die Häuserzeilen dahinter und die Dongqi-Mittelschule sind nur noch Schutt.

Der 19-jährige Ma Zhuang, Qins Sohn, hatte gerade Politikunterricht im dritten Stock der Schule, als das Beben mit der Stärke 7,8 auf der Richterskala zuschlug. Die Schüler begannen sofort, die Treppen hinunterzurennen. Doch nur einige Schüler, deren Klasse im Erdgeschoss lag, hatten eine Chance. Sie konnten sich noch ins Freie retten. Später sind dann noch rund zwei Dutzend lebend geborgen worden. Aber auch mehrere Dutzend Leichen. Niemand hat genau Buch geführt. Die Schüler in den oberen Stockwerken hatten keine Chance.

Seit beinahe 28 Stunden stehen Qin Xiao Hong und ihr Mann Ma Qin Ming im Regen neben dem Trümmerfeld. Mit wachsender Verzweiflung müssen sie zusehen, wie mehrere Dutzend Helfer im Schneckentempo einzelne Steinbrocken abtragen. Nur wenige Brocken sind geeignet, von einem der drei Mitsubishi-Kräne angehoben zu werden, die meist einfach nur herumstehen. "Warum holt ihn niemand da raus", ruft Qin Xiao Hong erneut.

Erstaunlich schnell hatte sich Ministerpräsident Wen am Montag auf den Weg in das Erdbebengebiet gemacht. Schon wenige Stunden nach den ersten Nachrichten über das schlimmste Erdbeben, das China seit mehr als 30 Jahren getroffen hat, war der Premier im Fernsehen zu sehen. "Als Chinese bin ich wirklich bewegt von der schnellen Reaktion und Handlung unseres Ministerpräsidenten Wen", sagt Zhang Qingzhou.

"Nicht eine Minute verschwenden"

Das ist ein Lob aus informiertem Mund, denn Zhang Qingzhou hat über das Erdbeben von Tangshan ein Buch geschrieben, das von der Kommunistischen Partei verboten worden ist. Er hatte darin die langsame Reaktion der Regierung kritisiert, nachdem am 28. Juli 1976 in Tangshan bei Peking mehr als 240.000 Menschen starben. "Diesmal ist es völlig anders als im Fall von Tangshan", sagt der verbotene Autor.

Die Kommunistische Partei weiß, dass sie in Krisenzeiten leicht das "Mandat des Himmels" verspielen kann, das Wohlwollen ihrer Untertanen. Diesmal läuft alles nach Plan. Partei- und Staatschef Hu Jintao hat sofort die Armee mobilisiert. Tausende Soldaten sind in das Erdbebengebiet unterwegs. Auch im zerstörten Zentrum von Hanwang ist bereits ein Konvoi grüner Armeelastwagen der Marke "Osten" angekommen. "Nicht eine Minute kann verschwendet werden, jede Sekunde kann das Leben eines Kindes bedeuten", sagt Wen Jiabao im Fernsehen.

Hier neben der Mittelschule von Dongqi aber scheint die Zeit stillzustehen. "Mehr als 200 Kinder" seien in zwei Schulen verschüttet worden, hat die Nachrichtenagentur Xinhua bereits berichtet. 800 Soldaten seien zu den Rettungsarbeiten angerückt. Am Ort selbst ist von ihnen allerdings noch nichts zu sehen.

Erst am Dienstag um 19 Uhr, also am Tag nach dem Beben, erscheint ein Uniformierter, dessen Rangabzeichen unter seinem grünen Regenumhang nicht zu erkennen ist. Der Feuerwehrmann aus Deyang mit dem roten Helm, der bis jetzt die Rettungsarbeiten geleitet hat, gibt ihm ein kurzes Briefing. "Das Schwierigste ist dieser Bereich hier, die frühere Aula", sagt er und zeigt auf einen Berg aus verbogenen Stahlpfeilern, Kacheln und zerborstenen Fensterrahmen. "Wir haben kein geeignetes Gerät", sagt der Feuerwehrmann zu dem Militär. "Women mei you liliang", fügt er hinzu, "wir haben keine Kraft." Beide Männer blicken einige Sekunden lang stumm auf den Schuttberg, auf dem gerade zwei verzweifelte Angehörige herumkriechen.

"Wir vermuten, dass hier 800 Kinder verschüttet sind, aber solch eine Zahl kann man ja unmöglich veröffentlichen", sagt der Feuerwehrmann weiter. Der Soldat nickt. "Ich wollte Ihnen sagen, dass wir offiziell um zwei Uhr nachmittags hier eingetroffen sind. Das ist schon bekanntgegeben worden", sagt er. Seine Soldaten würden nun erst einmal ihre Zelte aufschlagen. Nach und nach würden sie dann mit den Rettungsarbeiten beginnen. In der Hektik merkt niemand, dass ein ausländischer Reporter hinter ihnen steht. "Please go", sagt schließlich jemand in gebrochenem Englisch, aber sehr freundlich. Wie gut, scheint er zu denken, dass diese Ausländer kein Chinesisch sprechen.

"Einfach Feierabend gemacht"

Von mehr als 12000 Toten ist bis zu diesem Zeitpunkt in Chinas staatlichen Medien die Rede. Doch wenn die Art und Weise, wie in der Mittelschule Dongqi gezählt wird, für das Gesamtbild repräsentativ sein sollte, dann müssen es mehr sein. Möglicherweise viel mehr. Offenbar wollen sich viele örtliche Kader bei diesem grausigen Zahlenspiel zunächst einmal zurückhalten. Bloß nicht auffallen. Je weniger Tote gemeldet werden, desto weniger Verantwortung. Oder zumindest nicht sofort.

Erst als der einzige ausländische Beobachter von einem Uniformierten abgeführt wird, werden die Angehörigen wütend. "Schreiben Sie, dass dieses Schulgebäude illegal gebaut worden ist, an den Bauvorschriften vorbei", ruft der Vater eines verschütteten Schülers. "Schreiben Sie, dass die Rettungsmannschaften gestern um sechs Uhr abends einfach Feierabend gemacht haben", ruft die Mutter eines anderen.

Nur Qin Xiao Hong hat keine Kraft mehr, wütend zu sein. Es wird zum zweiten Mal dunkel. Ihr Sohn Ma Zhuang ist noch immer nicht gefunden worden. "Warum holt ihn niemand da raus", ruft sie wieder und wieder. "Ich habe doch nur dieses eine Kind."

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